Wenn es jemanden gab, den ich wirklich liebte, dann war es wahrscheinlich Mischa. Mag sein, dass wir viel zu wenig Zeit hatten, aber unsere Geschichte ist genau die, die man nicht vergisst, auch wenn man sich noch so sehr darum bemüht. Wir lernten uns in Heidelberg kennen, als er meinen Oberschenkel tättoowierte. Damals verdiente er sein Geld in diesem Tattoostudio, in dem man spontan noch einen Termin bekommen konnte. Wir hatten sofort einen Draht zueinander – immerhin komme ich aus Russland und er aus der Ukraine. Zu dem Zeitpunkt als sich das abspielte, war ein Krieg zwischen diesen beiden Ländern nicht vorstellbar. Zumindest nicht für uns.
Mein guter Mischa: Liebe auf den ersten Blick
Wahrscheinlich was es Liebe auf den ersten Blick. Mischa war schön, groß und hatte die Augen eines Engels. Er hatte dummen Humor und ich liebte es. Ich hatte keine Geheimnisse vor ihm – und ich hatte keine Strategie für ihn. Es war alles so einfach, denn es war echt. Da unsere Kulturen sehr ähnlich waren, mochten wir auch das gleiche Essen, die gleichen Songs und Zeichentrickfilme, hatten dieselben konservativen Werte und Lebensansichten. Ich sah ihn so klar, wie ich niemanden vor ihm sah und ich wollte, dass er meine Zukunft wird.
Doch Mischa hatte nur ein Touristenvisum in Deutschland. Ich ahnte bereits am ersten Tag unserer Bekanntschaft, dass wir wohl ein Ablaufdatum haben würden. Ich ließ es dennoch zu, mich unendlich in ihn zu verlieben. Es waren schöne Tage. Wir verbrachten die Abende im Schlierbacher Wald und die Nächte in meiner Schlierbacher Waldhütte. Ich machte Feuer, er redete mir ein, wieder mit dem Journalismus anzufangen – alles war perfekt. Ich wusste, er würde bald abreisen und dieses Thema stand im Raum, obwohl wir es gekonnt umgingen.
Nachts auf dem Dach: Mischa trifft eine Entscheidung
Eines Nachts kletterten wir auf mein moosiges Dach. Es war Ende Februar – bitterkalt. Aber der Himmel war so klar wie selten und der Mond schepperte in meinen wilden Vorgarten. Wir standen da und starrten diesen an. Wir sagten nichts, doch wussten beide, was der andere dachte. Mischa umarmte mich fest von hinten, sein Kinn auf meinem Kopf gestützt. Ich schloss die Augen. Ich wollte es nicht wahr haben. Und dann brach er unser Schweigen. Er würde mich lieben, sagte er. „Aber du wirst gehen“, erinnerte ich.
Er küsste mein Haar – mein Gesicht war zu diesem Zeitpunkt schon komplett von Tränen durchnässt – und er erwiderte: „Ich komme wieder. Ich kann und will nicht ohne dich sein.“
Russisch-ukrainische Liebe: Antrag in der Badewanne
Mischa machte mir einen Antrag, als wir zusammen in der Badewanne saßen. „Heirate mich“ sagte er mit seinem starren Blick in mein Gesicht, den ich erst zwei Wochen zuvor zum ersten Mal erblicken durfte. Ich sagte sowas wie „nu dawaj“ und wir überlegten, in der Ukraine zu heiraten, da dort die Eheschließung einfacher gewesen wäre, als in Deutschland.
Es näherte sich der Tag, an dem Mischa abreisen musste. Mein Herz war zerstört. Nichts fühlte sich richtig an. Nichts. Vor meinem geistigen Auge sehe ich heute noch, wie wir diese Rolltreppe zum Gleis hinunterrollen, er zwei Stufen unter mir steht und sich wie in Zeitlupe zu mir umdreht – sein Blick war so aufgelöst und durchdringend. Noch nie zuvor hat es mir derart wehgetan, jemanden so zu sehen. „Mischa, nein. Bitte schau nicht so.“ Er versuchte, sich zusammenzureißen. Ich wiederum war schwächer.
Mischa kommt in der Ukraine an
Es war ja zu unserem Besten. Er würde nur für einen Monat in die Ukraine fahren, um dort das mit den Dokumenten zu regeln und ein neues Visum zu beantragen. Danach würden wir zusehen, dass wir mich zu Frau Voitiuk machen. Ich verkraftete den Abschied nur schwer. Als sein Zug abfuhr, ließ ich am Gleis so viele Tränen, dass mich fremde Leute schon darauf ansprachen.
Als er in Tscherkassy ankam, bekam ich eine kleine Stadttour via Videocall: Innenstadt, Häuserblocks, die alte Birke, Flussufer. Mischa hatte kein Bock mehr auf die Ukraine und wollte so schnell wie möglich zurück nach Heidelberg. Am zweiten Tag machte er sich auf den Weg zum Standesamt, um sich mit den Abläufen vertraut zu machen. Er bräuchte einen ganzen Haufen Papiere, also fing er an, diese zusammenzusuchen.
Am dritten Tag rief mich Mischa früher als gewohnt an. Er war richtig wütend und fluchte: „Es ist Krieg“, sagte er schließlich. Ich dachte, er sei verrückt geworden. „Wovon redet er denn da?“, fragte ich mich. Bis ich es im Radio hörte. Dennoch dachte ich, es müsse sich um einen Fehler handeln. Um ein Missverständnis. Wenig später wurde bekannt gegeben, dass Männer über 18 aus der Ukraine nicht ausreisen dürfen. Die Hoffnung, Mischa jemals wieder zu sehen, starb recht langsam, obwohl wir lange Zeit versuchten, unsere Beziehung aufrecht zu erhalten. „Wenn der Krieg um ist, komme ich wieder“, schwor er immer wieder. Heute hat Mischa eine andere. Als ich neulich davon erfuhr, hörte ich auf, auf ihn zu warten.
Schreibe einen Kommentar